Liebe Patienten,
unsere Praxis bleibt ab dem 15.12.2019 für immer geschlossen
nach
über 40 Jahren ärztlicher Tätigkeit, davon 35 Jahre als
Kassenarzt, beziehe ich nun Rente und möchte den Rest meines
Lebens in Ruhe verbringen.
Die letzten 3 Jahre haben wir intensiv
eine Praxisnachfolge gesucht aber keine gefunden. Es gibt so gut wie
keinen Hausarzt- nachwuchs mehr. Diese Entwicklung war absehbar. Ich
habe das Gesundheitsministerium NRW, das BGM, die Kassenärztliche
Vereinigung und die Krankenkassen vor mehr als 5 Jahren darauf
hingewiesen, ohne daß irgendetwas passiert wäre. In den
letzten Jahren wurden in Herford 12 Hausarztpraxen ohne Nachfolger
geschlossen, der Hausarztmangel ist mittlerweile dramatisch. In anderen
- insbesondere ländlichen - Bezirken sieht es ähnlich aus.
Herford ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch in Großstädten
beginnt der Ärztemangel bereits. Wie konnte es dazu kommen,
daß sich heute kaum noch jemand für einen ehemals sehr
attraktiven Beruf interessiert?
Ich habe mich 1985 niedergelassen. Da
war die Welt für Kassenärzte noch einigermaßen in
Ordnung. Anfang der 90er-Jahre behaupteten die gesetzlichen
Krankenkassen, sie stünden kurz vor der Pleite, auch die
Lohnnebenkosten wären zu hoch (das alles wurde später alles
als Fake entlarvt). Gesundheitsminister Seehofer (CSU) schuf mit
Unterstützung der SPD (Dreßler) 1993 Honorarbudgets für
alle Kassenärzte, die nur wenige Jahre gelten sollten - und die
wir natürlich heute noch haben. Man könnte es Betrug nennen.
Als Folge der Budgets sanken die Praxisumsätze für viele
Jahre um teilweise über 20% (= Gewinnrückgang 40%!). Das
heißt: die Krankenkassen haben mit einem Fake erreicht, daß
Seehofer die kassenärztlichen Honorare massiv kürzte, was
alle seine Nachfolger bis heute weitergeführt haben, obwohl
die Kassen zwischenzeitlich über milliardenschwere Rücklagen
verfügen, für die sie Millionen an Strafzinsen zahlen
müssen. Aber Minister Spahn bleibt hart. Die Kassenärzte
können sich ja nicht wehren (Kassenzulassung = u.v.a. Verzicht auf
Streikrecht).
Die Honorarsituation ist also im
Kassenbereich seit 30 Jahren unbefriedigend. Gleiches oder gar mehr
Geld konnte und kann man nur mit mehr Arbeit verdienen: die
durchschnittliche Wochenarbeitszeit liegt bei Hausärzten um die 50
Stunden, was die jungen Ärzte nicht mehr akzeptieren. Die Honorare
sind pauschaliert und bringen z.B. für einen schwerkranken
multimorbiden geriatrischen Patienten deutlich unter 100 Euro für
3 Monate Betreuung. Tierärzte Können darüber nur lachen:
da kostet jede Konsultation meist zwischen 50 und 100 Euro. Ein
Haustier ist in Deutschland offensichtlich mehr wert als ein
Kassenpatient.
Fast noch schlimmer ist die Situation
im Bereich der Privatversicherung (GOÄ): hier ist in 35 Jahren
meiner Niederlassung nicht eine einzige Erhöhung erfolgt, d.h. ich
bekam für alle Leistungen (z.B. EKG) das gleiche Honorar wie 1985!
Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) wird vom
Bundes-Gesundheitsministerium als Rechtsverordnung erlassen. Das haben
die Bundesregierungen jeder Couleur seit 35 Jahren bewußt und
kriminell verzögert (zur Entlastung der Beihilfe und um die
Privatpraxis uninteressant zu machen). Daran kann man sehen, wie sehr
uns die deutschen Politiker verachten (Ulla Schmidt: "ich kann Sie doch
nicht alle zu Millionären machen!").
Meine Rente ist deshalb leider nicht so hoch wie früher erwartet.
Seit über 20 Jahren werden wir
Ärzte von der deutschen Presse überwiegend als geldgeile
Kurpfuscher hingestellt (Ärzte-Bashing). Auch das ist nicht
geeignet, die Freude am Beruf zu fördern.
Haben Sie schon einmal etwas von "WANZ" gehört? Nein? Das steht als Grundlage der kassenärztlichen Versorgung im Sozialgesetzbuch V: die Versorgung hat
(w)irtschatftlich, (a)usreichend, (n)otwendig und (z)weckmäßig
zu sein. So steht es im Gesetz. Also
nicht sehr gut oder gut, nicht mal befriedigend, sondern ausreichend!
Und was versprechen Ihnen Politiker und Krankenkassen? Beste Versorgung
auf höchstem Niveau (also glatt gelogen).
Allerdings bezahlen sie
tatsächlich nicht einmal WANZ, nicht ausreichend sondern
mangelhaft! Und wenn es mit der Spitzenmedizin nicht so funktioniert,
sind natürlich die Ärzte schuld, und es müssen neue
Zwangs-Gesetze her (z.B. Spahn's TSVG).
Horst Seehofer hat die Honorare in den
Keller getreten, Ulla Schmidt ließ die Bürokratie
explodieren: heute ist der bürokratische Aufwand eines Rezepts
durch diverse Vorschriften (z.B. Rabattverträge, "aut idem") weit
größer als der medizinische Teil. Also: Honorare runter,
Bürokratie rauf: macht das einen Beruf attraktiv? Nein. Will die
Politik etwas daran ändern: nein.
So fehlt heute der Nachwuchs, Praxen
können nicht mehr nachbesetzt werden. Ich habe meinem
Vorgänger 100.000 DM nur für den Patientenstamm bezahlt
(Goodwill), heute gibt es dafür keinen Cent mehr.
Vielleicht verstehen Sie nach diesen Ausführungen, warum die Situation so ist wie sie ist.
Wir haben alles mögliche versucht, die weitere Betreuung unserer Patienten sicherzustellen: keine Chance.
Beschweren Sie sich bei den
ärztefeindlichen Gesundheitsministern wie zuletzt Gröhe und
Spahn. Glauben Sie den Lügen der Gesundheitspolitiker nicht:
Versorgung auf höchstem Niveau zu nicht einmal WANZ-Honoraren: das
kann auf Dauer nicht funktionieren.
Ich möchte mich bei Ihnen allen
für das jahre/jahrzehntelange Vertrauen bedanken. Die letzten
Jahre meines Lebens möchte ich - mittlerweile auch gesundheitlich
angeschlagen - aber für mich und meine Frau haben.
Deshalb schließen wir unsere Praxis zum 15.12.2019. Den Rest des Monats brauchen wir, um die Räume leer zu machen.
Lassen Sie sich Anfang Dezember noch
einmal große Packungen Ihrer Dauermedikamente verschreiben und
nehmen Sie Ihre restlichen Krankenakten mit, falls noch vorhanden.
Herzlichst
Ihr
Dr. med. Henning Fischer
p.s.: für Interessierte:
"111 Gründe, kein Arzt zu sein: Ein Abgesang auf den ehemals schönsten Beruf der Welt"
von Göran Wild, Taschenbuch, Verlag: Schwarzkopf & Schwarzkopf
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ab dem 16.12.19:
Sie haben noch nicht Ihre kompletten Krankenakten?
Bitte senden Sie uns eine Email an HF.HF@t-online.de. Wir überprüfen dann den Umfang der Anforderung und teilen Ihnen einen Betrag mit, den Sie bitte auf das Konto
DE67 4945 0120 1000 2390 44 bei der Sparkasse Herford BIC WLAHDE44XXX
überweisen.
Wir senden Ihnen dann die gewünschten Unterlagen zu.
Anmerkung: seit über 8 Jahren
haben wir eine papierlose Karteikarte, d.h. wir haben alle Fremdbefunde
eingescannt und die Originale den Patienten mitgegeben, ebenso
Laborbefunde ect. Alle unsere Patienten sollten ihre kompletten
Krankenunterlagen zu Hause haben!
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