Dr. med. Henning  Fischer
 

Beim Flug von Köln/Bonn nach Gran Canaria am 10.01.2014  gab es nach 2 Stunden Flugzeit einen medizinischen Notfall:

ich selber saß am Fenster, meine Frau (gelernte OP-Schwester) auf dem mittleren Sitz und der Fluggast auf dem Sitz daneben zum Gang wurde plötzlich bewußtlos. Meine Frau bemerkte es und rief um Hilfe, ich erwachte aus einem Dämmerschlaf, sie verabreichte einen Schlag auf die Brust, der Patient wurde nur kurz etwas wach. Von meinem Platz aus konnte ich den Patienten kaum erreichen, er war wieder bewußtlos, blaß, kaltschweißig und hatte weder Carotis- noch Radialispuls tastbar. Ich hatte keine Chance, näher an den Patienten heranzukommen, da auch meine Frau ihren Platz nicht verlassen konnte, weil der Patient den Weg blockierte. Mittlerweile war durch den Notruf der Flugbegleiterin ein Kollege (Radiologe in Ausbildung) eingetroffen. Wir waren uns darüber im klaren, daß wir den  Patienten für weitere Hilfe auf den (engen) Gang legen mußten. Das wurde aber dadurch massiv behindert, daß sich die Armlehne zum Gang hin nicht hochklappen ließ. Mittlerweile kam der Patient wieder kurz zu Bewußtsein, wurde aber wieder kollaptisch. Mit vereinter Hilfe gelang es uns, den wieder völlig schlaffen Patienten über die Armlehne zu hieven und auf den Boden zu legen. In Schocklagerung kam er immer wieder kurz zu Bewußtsein, oft war er aber bewußtlos. Der Kollege hockte am Kopfende auf dem Gang, ich saß auf dem Platz des Patienten. Die Flugbegleiterin hatte mittlerweile den Notkoffer geöffnet und bot uns den Inhalt an. Wir waren uns einig, daß der Patient eine Infusion braucht. Die entnahmen wir und meine Frau bereitete sie vor. Nun begann die Suche nach einer Verweilkanüle, die sich nach Durchwühlen fast des gesamten Koffers irgendwo unter anderem Material fand. In der Zeit versuchten wir, mit dem Blutdruckgerät aus dem Koffer zu messen. Leider löste sich der Schlauch leicht vom Gerät, die Manschette blies einseitig auf und der Ablassknopf ließ sich ganz vom Gerät abschrauben. Wir benutzen daraufhin das Handgelenksgerät des Patienten, später fand sich auch ein solches im Koffer. Der Blutdruck war zeitweise nicht meßbar obwohl der Patient ansprechbar war, dann maßen wir 48 systolisch, später um 80 und noch später um 100, zwischendurch immer wieder Phasen von Bewußtlosigkeit ohne Puls und Blutdruck.

Zwischenzeitlich hielt ich die Hand des Patienten und der Kollege legte die Verweilkanüle, dann wollten wir sie mit (Rollen-)Pflaster fixieren, leider gab es keine Schere im Koffer, der Kollege erledigte das mit den Zähnen.

Wir legten die einzige im Koffer vorhandene Infusionslösung (400 oder 500 ml) an und ließen sie laufen. Eine andere Flugbegleiterin brachte zwischenzeitlich eine Sauerstoffflasche mit Schlauch und Maske, die wir dem Patienten vorübergehend applizierten. Der Patient war nun wieder ansprechbar und wir gaben ihm mir Strohhalm etwas zu trinken. Der Kollege fragte nach einem EKG-Monitor. Die Flugbegleiterin bot den Defibrillator mit EKG-Display an. Wir klebten die Elektroden und schlossen das Gerät an. Es zeigte sich ein normfrequenter Sinusrhythmus. Nach einiger Zeit hatte sich der Kreislauf einigermaßen stabilisiert und wir wuchteten den Patienten auf die Sitzreihe, wo er bis zur Landung liegen blieb. Eine stabile Seitenlagerung wäre, wenn indiziert, weder auf dem Gang noch auf der Sitzreihe möglich gewesen. Der Patient wurde erfreulicherweise nicht mehr bewußtlos. Wir gaben der Flugbegleiterin Anweisung, es solle am Flughafen ein Notarzt warten, eine Ambulanz reiche nicht. Bei Ankunft wartete an der Gangway ein älterer Arzt mit roter Jacke und einem Koffer in der Hand, begleitet von einer jungen Frau (Fahrerin?), gebracht wurde er von einem Flughafen-PKW. Er maß dem Patienten, dem es mittlerweile einigermaßen ging, den Blutdruck und verließ mit ihm das Flugzeug. Wir hofften inständig, daß es nicht wieder zum Kreislaufkollaps und Bewußtlosigkeit kommen würde. In Deutschland wäre mit Sicherheit ein Notarzt mit RTW und 2-3 Sanitätern gekommen. Wir fragen uns allerdings, wie man einen bewußtlosen oder gar reanimationspflichtigen Patienten aus dem Flugzeug hätte transportieren können. Ebenso wäre eine Herzdruckmassage bei dem im Gang liegenden Patienten äußert schwierig gewesen. Wir hatten Glück: 2 Ärzte und eine Krankenschwester konnten sich einigermaßen helfen, einer alleine hätte äußerst schlechte Karten gehabt.

Zum Patienten: ca. 45 Jahre alt, ca. 80 kg schwer, mit Ramipril behandelte Hypertonie, seit Tagen wegen eines Racheninfekts Ciprofloxacin.


Nach eingehender Diskussion machen wir folgende Vorschläge:

1) die Flugbegleiterinnen müßten eingehend darin geschult werden, wie man einen (bewußtlosen) Patienten aus einer Sitzreihe herauszuholen und für die Behandlung im Gang lagern muß. Das sind Dinge, die kein Passagier wissen kann. Dafür müßten evtl. auch benachbarte Sitzreihen sofort geräumt werden. So hätte ich den Patienten nach Überwinden der Rückenlehnen erreichen können.
2) eine der Flugbegleiterinnen muß speziell auf den Notkoffer geschult sein und sich mit dessen Inhalt auskennen (z.B. wissen, was eine Verweilkanüle ist)
3) der Inhalt des Notkoffers selber muß nicht nur per Sichtprüfung gecheckt werden, sondern auch die Funktion (hier Blutdruckgerät).
4) der Koffer in der jetzigen Form ist in solchen Notfällen weitgehend unbrauchbar da absolut unübersichtlich (in unserem Notfall kam erschwerend hinzu, daß die Beleuchtung auf Nachtlicht gestellt war und wir erst spät daran dachten, mehr Licht zu fordern).
5) Für Verbesserung könnte sorgen:

Aufteilung in 3 Koffer:
- Koffer 1: Blutdruckmeßgerät, Pulsoximeter (war nicht vorhanden), Blutzuckermeßgerät, Schere für die Kleidung (war nicht vorhanden), Ambu-Beutel, Desinfektion,  
  Verweilkanülen mit entsprechenden Fixierpflastern (waren auch nicht vorhanden, nur Pflasterrolle), Infusion mit Zubehör

- Koffer 2: wichtige Medikamente (Suprarenin, Glucoselösung, evtl.  Antiarrhythmika), wenige in übersichtlicher Auswahl für die nachfolgende Versorgung
- Koffer 3 für Sonderfälle mit Intubationsbesteck, evtl. Medikamente für Spezialisten

- oder: ein Koffer mit entsprechender Aufteilung und durchsichtiger Zwischenklappe, auf der der Inhalt der Fächer über denselben angegeben ist

Auf jeden Fall werde ich bei der nächsten Durchsage „ist ein Arzt an Bord?“ erst mal einen kräftigen Schweißausbruch bekommen.
 


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