Dr. med. Henning  Fischer


Liebe Patienten!

Immer wieder werden in der Laienpresse oder in Büchern Behauptungen veröffentlicht, die zu erheblicher Verunsicherung der Betroffenen beitragen.

Auf einige dieser Themen möchte ich näher eingehen.

Viele Frauen meinen, die Wechseljahre wären ein natürlicher Zustand: das stimmt so nicht! In den letzten Jahrhunderten lag die mittlere Lebenserwartung der Frauen zwischen 45 und 55 Jahren. Von der Natur ist es nicht vorgesehen, daß eine Frau längere Zeit in den Wechseljahren verbringt, denn sie starb meist vorher an allen möglichen Krankheiten. Aus der Entwicklung der Arten ist außerdem bekannt, daß ein Lebewesen für die Natur nur solange interessant ist, wie es sich vermehren kann. Auch deshalb ist ein längeres Überleben nach den Wechseljahren nicht vorgesehen gewesen. Erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts stieg die Lebenserwartung in den Industrieländern durch rasante Entwicklung der Medizin derart drastisch an, daß Frauen nun (neuerdings) mehrere Jahrzehnte in den Wechseljahren überleben, d.h. mit Östrogenmangel. Dieser kann nun negative Auswirkungen haben wie Knochenschwund und Zunahme der Arteriosklerose. Deshalb hat man vor Jahren gedacht, es sei sinnvoll, allen Frauen nach den Wechseljahren Östrogene zu geben. Leider hat sich in Langzeitstudien nicht bestätigt, daß positive Effekte regelmäßig nachzuweisen wären, andererseits wurde eine gewisse Brustkrebshäufung gefunden. Es bekommen ohne Hormongabe 45 von 1000 Frauen einen Brustkrebs, nach 5 Jahren Hormongabe 47, nach 10 Jahren 51 von 1000, also 6 mehr als ohne Hormone. Nachdem diese Ergebnisse aus einer großen Langzeitstudie bekannt wurden, haben sich die Empfehlungen zur Hormongabe geändert.

-   Frauen ohne Risiko für Osteoporose und ohne Wechseljahresbeschwerden sollten keine Hormone erhalten.
-   bei Frauen mit relativ geringen Beschwerden und Risikofaktoren ist im Einzelfall zu entscheiden
-   Frauen mit starken Beschwerden können natürlich weiter Hormone erhalten (unter entspechenden Kontrollen)

Mit der drastisch gestiegenen Lebenserwartung sind nun auch andere Erkrankungen wichtig geworden, die früher keine Bedeutung hatten, da die Menschen an anderen Krankheiten wie Infektionen o.ä. in jüngeren Jahren starben:

z.B. der Bluthochdruck: bei den meisten Patienten ist diese Erkrankung in den Genen vorhanden und kommt etwa zwischen dem 40. und 60 Lebensjahr zum Ausbruch, d.h. die Blutdruckwerte steigen immer weiter an und damit das Risiko für Gefäßschäden mit der Folge von Schlaganfall oder Herzinfarkt nach Jahren im höheren Lebensalter. In Afrika liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 49 Jahren. Dort spielt Bluthochdruck natürlich keine Rolle. Ähnlich verhält es sich mit dem sogenannten Alterszucker und der Cholesterinerhöhung: diese Störungen konnten sich im Erbgut halten, weil noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts kaum jemand ein Lebensalter erreichte, in dem diese Krankheiten relevant wurden. Für die Entwicklung der Arten nach Darwin waren sie daher ohne Bedeutung und wurden nicht herausselektiert.
Das trifft auch für ein anderes Problem zu, das heute große Bedeutung erlangt hat: viele Menschen leiden unter Übergewicht, weil sie die Nahrungskalorien gut ausnutzen und genug (oder zuviel) zu essen haben. In der Entwicklung der Menschheit war dieses genetische Merkmal immer von Nutzen, die betroffenen Menschen hatten in Hungerzeiten einen Überlebensvorteil. Heute müssen sie meist lebenslang gegen ihr Übergewicht kämpfen.

Doch nicht nur die Krankheiten und Ernährungsbedingungen haben sich geändert, sondern unsere gesamte Umwelt und Lebensweise:

vergleicht man die Welt seit Beginn der Zeitrechnung bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit heute, dann wird klar, daß sich extreme Veränderungen erst in den letzten hundert Jahren ergeben haben. Der Mensch hat sich in den letzten 10 000 Jahren sicher nicht so entwickelt, um in unserer heutigen Umwelt zu leben. Wir leiden vor allem unter einer massiven Überforderung unseres Geistes, da wir schon im alltäglichen Leben hundertfache Informationen verarbeiten müssen im Vergleich zu einem Menschen vor 100 Jahren. Aber auch die ständige Information über Krieg und Leid in der ganzen Welt belastet unsere Seele massiv. Frühere klare Werte haben ihre Bedeutung verloren, die Wissenschaft hat für unser menschliches Dasein mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet.

So ist unsere heutige Zeit belastender als je eine zuvor, von Kriegszeiten und Seuchen einmal abgesehen.

Wen wundert es da, daß sich viele Menschen krank fühlen, besonders wenn sie auch wissen, daß es tausende von Krankheiten gibt?

Es wurde in letzter Zeit behauptet. Pharmaindustrie und auch Ärzte hätten Krankheiten erfunden, um daran zu verdienen (z.B. Osteoporose). Das stimmt so sicher nicht: es gibt heute viele Krankheiten, die in der Vergangenheit wegen viel kürzerer Lebenserwartung einfach keine Rolle spielten. Und die WHO definiert Gesundheit als einen Zustand ohne Beschwerden im körperlichen, seelischen oder sozialen Bereich.

Wer ist da heute noch wirklich gesund?



[ ÜBERSICHT ]